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Gabriel Finne

Gabriel Finne.

Dieser junge Dichter, der sich in seiner norwegischen Heimat schnell einen Namen gemacht hat und auch in Deutschland nicht unbekannt geblieben ist, bietet in seiner Persönlichkeit, wie in seinem Schaffen eine Mischung widerspruchsvoller Gegensätze: urwüchsige Brutalität und sensible Feinfühligkeit. Auf der einen Seite empfangen wir den Eindruck einer kraftstrotzenden, gesunden Energie, eines naiven, rücksichtslosen Drauflosgehens, auf der andern den einer fast nervösen Gebrochenheit, eines grüblerischen Hineinbohrens in eine innere, einsame Empfindungswelt und einer weichen Gemütsentfaltung.

Finne ist gleichsam der frische Sohn einer Urnatur, den in seinem jugendlichen Kraftbewußtsein das Überfeinerte, das in der Entartung Begriffene, das Naturwidrige mit Empörung erfüllt, der schon im Tiermitleid krankhafte Nervosität und Seelenschwäche sieht, („Die Eule“) und doch gleichzeitig der vollentwickelte, moderne Kulturmensch mit einer fast nervösen Empfindungszartheit und der Neigung zur grüblerischen Zerlegung des Innenlebens, der mit schmerzvollem Mitleid das Unterliegen des Großen, Freien und Schönen unter dem Einfluß der Entartung des Kulturlebens erkennt.

Das Naturfrische und Urgesunde im Menschen sieht Finne in der Bejahung zum Leben, woher ihm die freie Entfaltung der natürlichen Triebe als das Erquickende und Erhebende erscheint. Daher bezeichnete er es anfangs geradezu als das Programm seiner Produktion: „die Leidenschaften zu enthüllen und den Trieb zu entschleiern, der alles Leben und alles Glück bedingt.“

Schon in den wohl zu seinen ersten Arbeiten gehörenden Novellen, die später unter dem Titel „Junge Sünder“ erschienen und mit ihren unverhohlenen Eintritt für das Recht der Sinnlichkeit einen großen Skandal hervorriefen, trat dies deutlich genug hervor. Wenn die arme „Hansine“ dem Vaterhause mit seiner Forderung der Entsagung und demutvollen Unterordnung entflieht und sich in den Strudel des großstädtischen Genußlebens stürzt, so erklingt der Ruf: „Hurrah, ich bin frei!“ nicht nur wie der Jubel eines augenblichen Ausbruches, sondern der Dichter scheint auf der Seite der Glücksfordernden zu stehen, der Untergang draußen im freien Genießen dünkt ihn ein schöneres Loos, als das langsame Verkümmern in dumpfer Enge. Und in der Erzählung „Im Hasselnußstrauch“ ist über das alle Rücksichten vergessende Genußverlangen der Jugend ein solcher Hauch von Licht und Schönheit ausgebreitet, daß man auch hier nicht im Zweifel sein kann, mit welchen Empfindungen der Verfasser dem jungen Paare gegenübersteht. Noch klarer tritt diese Sittlichkeitsanschauung des Dichters zu Tage, wenn er in „Zwei Damen“*) [fotnot: *) Verlag von Schuster & Loeffler.] den brutal gesundempfindenden Ingenieur seine Frau einfach mit den Fäusten bearbeiten läßt, als diese ihrer egoistischen Bequemlichkeit Ausdruck verleiht und sich ihren Ehepflichten zu entziehen sucht, denn dieses „damenhafte“ Begehren erscheint dem Dichter als eine durch Kulturverfeinerung erzeugte Perversität, die seine offenbare Empörung hervorruft, während er die andere Seite des infolge der sinnlichen Unbefriedigtheit sich zum naturwidrigen, steigernden „Damenhaften“, die übermäßige mit Koketterie gepaarte Sinnlichkeit, nur mit einer Art ironischen Lächelns betrachtet.

Und vollends bezeichnend ist es, daß der Ingenier in dem Drama „die Eule“**) [fotnot: **) Verlag von S. Fischer.] von tiefen Gewissensbissen gefoltert wird, weil er seinen Freund mit dessen Frau hintergangen hat; aber auch nicht mit einem Wort wird der Treuebruch an der eigenen Gattin berührt, ja diese selbst denkt keinen Augenblick an das ihr widerfahrene Unrecht. Mit dieser, ich möchte sagen, barbarisch-männlichen Moralanschauung stellte sich Finne in beabsichtigt schroffen Gegensatz zu der von Björnson verfochtenen antisinnlichen, geschlechtlichen Gleichheitsmoral. Überhaupt müssen die ersten Werke Finne’s, wie einiger anderer unter den jüngeren Norwegern und Dänen (z. B. Garborg’s, Hans Jäger’s, Amalie Skrams, Erna Juel Hansen’s) als Kampfschriften gegen Björnsons berühmten Ausspruch: „Die Brunst muß fort aus dem Menschenleben“ aufgefaßt werden und erklärt sich hieraus der oft leidenschaftliche und zu Übertreibungen geneigte Ton.

Auch gegen eine andere Idee Björnsons wandte sich Gabriel Finne in seinem ersten großen Roman, nämlich gegen die Verherrlichung des Familienheims. In „Dr. Wangs Kinder“ zeigte der junge Dichter, welchen Stempel ein trostloses Vaterhaus dem Menschen für sein ganzes Leben aufdrückt, wie aus einem disharmonischen Heim auch nur mit der Welt zerfallene Menschen hervorgehen können. Dr. Wang, eine starke, energievolle Individualität, die durch den Kampf des Lebens und eine Ehe mit einer verständnislosen, durch das Zusammenleben mit ihm verbitterten Frau verhärtet ist, erzieht seine Kinder mit einer solchen Strenge und Brutalität, daß alles Ehrgefühl in ihnen ertötet wird und sie zu wilden, rachsüchtigen, freiheitsschmachtenden, aber flügelgebrochenen Menschen werden. Dabei ist er selbst tief unglücklich, denn er will ja nur das Beste seiner Kinder, und ihre Auflehnungen bereiten ihm den tiefsten Schmerz.

In diesem Roman zeigt sich Finne’s tiefpessimistische Lebensanschauung im Gegensatz zu Björnsons sieghoffendem Optimismus. Auch Björnson hat traurige Familienheime gezeichnet, aber ihm erwächst daraus die Lehre, wie die Zukunft zu gestalten sei, Finne dagegen zeigt nur ein trostloses, lichtloses Schauspiel, Menschen, die für das Leben verpfuscht sind. Denn trotz der Sympathie des Dichters für die Jungen und Glück- und Freiheits-Dürstenden hat er doch meist ihren Untergang gezeigt oder vermuten lassen; sie sind fast alle, wie der Held in seiner Novelle „Der Philosoph“, „Fliegen, die in Lichtsehnsucht die Lampe umkreisen, um mit verbrannten Flügeln in das Nachtdunkel zurückzukehren“.

Nur die gesunden, glücklichen, naiven Temperamente, vermögen den Kampf für neue Ideale zu bestehen, Finne’s Menschen sind aber durch ihren Entwickelungsgang gebrochen. Sie sehnen sich nach Licht und Freiheit, haben aber nicht die Charakterkraft, die Ideale zum Siege zu führen.

War es in „Dr. Wangs Kinder“ das Vaterheim, das diesen inneren Bruch in ihnen hervorgerufen hatte, so ist es in der früher geschriebenen Novelle, „Der Philosoph“, die Gesellschaft.

Die durch den Zwang, die Lüge und Heuchelei der Gesellschaft irregeleiteten Leidenschaften machen diese Individuen ungeeignet, sich als Vorkämpfer des Neuen auf die Schanzen zu stellen, sie würden durch ihr eigenes Leben ihre Lehre besudeln. Ihnen bleibt nichts übrig, als sich aus dem Wege zu schaffen, um ihrer Sache nicht zu schaden. —

Die Charakterschwäche, die das Lebensglück zu zerstören droht, ist auch das Thema seines einaktigen Drams „Die Eule“, sowie seines letzten Romanes „Rachel“. In dem ersteren hat Finne für die Gewissensbisse über den gegen den Freund begangenen Treubruch, die unter dem Einfluß einer gewaltigen, düstern Natur hervorwachsen und sich bis zum Wahnsinnsanfall steigern, ein tieferschütterndes Seelengemälde geboten. Auch in „Rachel“ wird das Ringen eines solchen Charakters zwischen seinen edlen Herzensinstinkten, die ihn zu dem geliebten Weibe und seinem Heim hinziehen, und seinen sinnlichen Leidenschaften, die ihn immer wieder in Ausschweifungen hinausjagen, dargestellt. Wie in der „Eule“ die gelben Augen des Nachtvogels den lauernden Schreck symbolisieren, so in Rachel die sanften, fragenden Augen seines Weibes den Zauber der Liebe und den Frieden des Heims.

Finne, der beinahe als ein Gegner des Familienheims begann, ist in seinen letzten Werken fast zu einem Verherrlicher des schützenden Friedens desselben geworden, wenn er in beiden Dichtungen die Lösung in der milden, verzeihenden Liebe der Frau giebt. Er, der als ein Künder von unbeschränkter Jugendlust und skrupellosem Jugendgenuß begann, wird zu einem düsteren Grübler über die vernichtenden Folgen der Übermacht der Sinnlichkeit und bohrt sich mehr und mehr in die geheimnisvollen Tiefen des Seelenlebens hinein. „Meine Seele sehnt sich hinaus aus dieser körperlichen Hülle, dieser fleischfressenden, umherlaufenden Maschine. Was mich am meisten peinigt, ist meine Einsamkeit — mit fast wahnsinnigem Schreck starre ich in das Faktum, daß ich eine einsam bebende, angstvolle Insel bin mitten draußen in einem schwarzen Meer,“ klagt der Held seines letzten Romanes. (Rachel.)

Während Finnes Komposition in seinen meisten Arbeiten viel zu wünschen übrig läßt, lagert über seinem Roman „Zwei Damen“ und über „Die Eule“ etwas merkwürdig Abgeklärtes und Reifes. Die Komposition ist hier wie aus einem Guß, und wenn in der letzteren der Schluß nicht ganz zu befriedigen vermag, liegt es darin, daß das Problem nur scheinbar gelöst ist, daß der Dichter die Versöhnung von jemand kommen läßt, der nach seiner eigenen Darstellung gar nicht gekränkt war. Ein befriedigender Schluß, eine wirkliche, nicht nur eine Scheinlösung könnte nur eintreten, wenn die Verzeihung von dem Freunde selbst käme.

Die starke Wirkung, die Finne’s Werke, trotz der Enge des von ihnen behandelten Stoffes und technischer Schwächen, ausüben, beruht darin, daß wir in ihnen eine Persönlichkeit spüren, die ihre ganze innere Überzeugung, ihr tiefstes Denken und geheimstes Empfinden in denselben entschleiert. Es kommt bisweilen, wenn es der Dichter recht ernst meint, etwas naiv heraus; aber es liegt Aufrichtigkeit darin. In einigen Arbeiten ist es ihm bisweilen auch gelungen sich zu einer Art Ironisierung seiner Charaktere hindurchzuarbeiten und dann spürt man etwas von einem überlegenen Humor darin. (Z. B. in Zwei Damen.)




[Texten hämtad ur Nordische Meisternovellen (1896), s. 329–333.]