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Gabriel Finne

Geistererscheinungen.

Der Norweger Gabriel Finne hat unter dem symbolisierenden Titel „Die Eule“ ein Stück geschrieben, das in seiner Totalität nicht vor der Kritik bestehen kann. Mitunter geniert eine nicht ganz echte Stimmungsmacherei, die Anlage ist skizzenhaft, und schließlich ist auch der eigentliche Konflikt nur so obenhin behandelt. Um so besser aber besteht die Arbeit als Studie. Die Szene, die ihren eigentlichen „Schlager“ bildet, ist ergreifend und reizt den Kritiker, ihre innere psychologische Natur zu entschleiern. Es erscheint in dieser Szene nämlich ein Geist und zwar befinden wir uns nicht in einer entlegenen romantischen Zeit, sondern in der hellen Gegenwart, auch ist es nicht der Geist eines Königs oder sonst eines Menschen, der mit den Schritten der Macht über die bange Erde gewandelt ist, sondern der Geist eines bescheidenen Oberlehrers. Könige und andere Männer, die der Geschichte angehören, sind von einem Hauch des Ewigen umweht. Ihre Gegenwart entreißt uns der kleinen Alltäglichkeit; unsere Seele wird von großen und ungewohnten Empfindungen geweitet; wir verlieren den Maßstab, mit dem wir an tristen Werkeltagen zu hantieren pflegen und sind nicht befremdet, wenn in der Mitternachtsstunde der Poesie ein Grab sich öffnet, um den geraubten Geist seiner dunklen Haft entsteigen zu lassen. Wer aber den Geist eines bescheidenen Oberlehrers auf die Bühne bringt, verzichtet auf all das Stimmunggebende und Gewaltige, von dem die Menschen der Geschichte umwittert werden, die Menschen, deren endliche Erscheinungen Symbole des Unendlichen sind. Er mutet uns ein Wunder zu und läßt uns sozusagen ruhig in unserer Wohnstube bleiben. In seinem gewöhnlichen Schlafrock aber ist der Mensch träger und weniger zum Glauben geneigt, als in der Dämmerung eines weihevollen Tempels, wo die Mystik in allen Winkeln raunt und spinnt. Gabriel Finne hat sich seine Aufgabe somit schwer gemacht, und da es ihm trotzdem gelang, unsere Seele mit dem Grauen vor den dunklen Mächten der Natur zu erfüllen, mag seine Arbeit ein guter Anlaß sein, den Bedingungen nachzudenken, unter denen wir auch in der modernen und modernsten Kunst unsere Seele dem Wunder gern gefangen geben. —

Wir wollen uns einen Hintergrund verschaffen, inden wir zunächst von den Stümpern reden, die Geister beschwören, ohne die Formel zu kennen. So wunderlich es klingt: sie schaffen ein Wunder, um es sofort wieder zu zerstören. Sie malen beispielsweise einen fabelhaften Drachen, und wenn man ihn dann anstaunt und kopfschüttelnd nicht begreifen kann, wie dieses wunderliche Ding in unseren geordneten Polizeistaat hineingekommen ist, dann befreien sie uns von allen Bedenken etwa durch folgende Rede: „Das ist, verehrter Freund, kein wirklicher Drache; ich bin ein zu aufgeklärter Mensch, als daß ich wirkliche Drachen malen sollte, die es bekanntlich gar nicht giebt. Das ist kein Drache; das ist die — Zwietracht!“. Nach solcher Rede ist man, wie gesagt, von allen Bedenken befreit, aber auch von jedem Interesse. Ein solcher Künstler gleicht einem Taschenspieler, der eine Karte verschwinden läßt und uns nachher lächelnd zeigt, daß der Kasten einen doppelten Boden hatte. Er schafft das Wunder und löst es gleichzeitig in ein kaltes, etwas ärgerliches Staunen auf. Er malt einen Drachen und entleibt ihn im selben Augenblick, indem er ihn zu einer kahlen Allegorie umschafft. Selbstverständlich ist nichts dagegen einzuwenden, daß ein Künstler einen Drachen malt und ihn „die Zwietracht“ nennt; aber es muß ein Drache sein; ein Kerl, an den wir auch ohne Benennung mit Schrecken glauben, weil wir vor seinem giftigen Atem unwillkürlich einen Schritt zurückweichen. — Jener andere Drache aber ist ein fragwürdiges Etwas, das nur durch die Unterschrift existiert. Er jagt keinem Menschen einen Schreck ein, denn vor Unterschriften fürchten sich auch bescheidene Gemüter nicht. Ach, die Ausstellungen wimmeln von Wundern, die im Katalog durch eine philosophische Erklärung vernichtet werden müssen, damit der Beschauer weiß, was mit den Farbenflecken gemeint ist. So ziemlich alle Tugenden haben in überirdische Frauengestalten hineinkriechen müssen, denen kein Mensch ansehen würde, daß in ihnen die „Einigkeit“, die „Entsagung“ u. s. w. Wesen wurden, wenn es nicht eben der Katalog in drei Sprachen behauptete. Aber wenn es in hundert Sprachen behauptet würde, es wäre in allen gelogen. So billig holt man die Engel des Himmels nicht herunter und beschwört auch nicht (was sonst leichter ist) die Schrecken der Hölle herauf. Wer in der Kunst Wunder thun will, muß mehr haben, als einen Kasten mit einem doppelten Boden.

Aber muß er nicht mehr haben, als ein Mensch überhaupt besitzen kann? Können Geistererscheinungen poetische Wirklichkeit werden für Leute, die felsenfest überzeugt sind, daß es Geistererscheinungen gar nicht giebt? Allerdings — das können sie. Selbst wer über Gespenster lächelt, wird, wenn er anders ein gescheiter Kopf ist, die Gespensterfurcht anerkennen müssen. So lange im Weltgebäude nicht jeder Winkel von der Vernunft erhellt ist, so lange bestimmen dunkle Mächte, die wir nicht erkennen und nicht beherrschen können, unser armes Schicksal. Mit diesem Unbekannten aber, das jenseits unserer Vernunft liegt, zieht die Furcht in unsere Seele, wo sie in ruhigen Stunden als Ehr—furcht wohnt, um sich zu anderen Zeiten dann wieder in ein tiefes Grauen zu verwandeln. Wenn Ort und Stimmung günstig sind, glauben wir an alle Gespenster. Wir wissen eben instinktiv, daß es einen Rest giebt, den wir nicht kennen, und fühlen uns daher nie ganz sicher. Auf einer nächtlichen Wanderung kann uns ein herbstkahler Weidenstumpf erschrecken, und ist die Furcht dann einmal rege, kann das wechselnde Licht des Mondes und das Rascheln dürrer Blätter uns mit gespenstischem Granen erfüllen. Und wie die Furcht vor dem Dunkeln, so lebt auch der Glaube an das überirdisch Helle ewig im menschlichen Herzen. Das Unbekannte, das die Furcht erzeugt, läßt auch der Hoffnung Raum, und die Hoffnung schafft immer aufs neue die lichten Engel, die den rationalistischen Schulmeistern ein so spaßiges Unbehagen bereiten. Wer krank ist, lehnt das müde Haupt in die Kissen zurück und sehnt sich nach dem Engel des Mitleids, daß er an sein Lager trete und ihm die liebe Hand auf die fiebernde Stirne lege. Und wenn dann das Leben wiederkehrt und die bleiche Sonne der Genesung scheint, dann blüht aus seinem Dank die Blume des Wunders, und er verwandelt einen brummigen alten Physikus in einen Gesandten des Herrn. Die Seele hat mehr Freude an Wundern, als die Kathederweisheit sich träumen läßt. An einem hellen Frühlingstage kann sie die seltsamsten Dinge treiben. Sie nennt ehrenwerte Falter, die sich naturwissenschaftlich der besten Reputation erfreuen, „leichtsinnig“, weil sie selber zum Fliegen leicht und freudig ist; sie liebt die hellstämmige Birke ob ihres „jungfräulichen“ Laubes und behauptet vom Bach, der ihr nie etwas zu leide gethan hat, daß er „geschwätzig“ sei. Die ganze Natur verwandelt sie in ein blaues Wunder von Duft und Sonne. Kann die Seele aber das, kann sie Bäume lebendig machen und Insekten eine menschliche Seele geben, dann kann sie (da es Stufen des Wunderbaren nicht giebt) auch die Riegel des Grabes sprengen und einen Toten in die Welt des Lichts emporsteigen lassen. Möglich also ist das Wunderbare in der Kunst, auch ohne daß es in der Form von philosophischen Hieroglyphen auftritt. Mehr noch: unsere bisherigen Ausführungen enthalten bereits, wenn man genau hinsieht, die Bedingungen, unter denen der Künstler uns zum Glauben zwingen kann. Die Frühlingsstimmung ist die Quelle, aus der die Frühlingswunder steigen. Will der Maler eine heitere Landschaft zeigen, in der freundliche Genien sich wie ausgelassene Kinder tummeln, dann muß er die Stimmung der ungebundenen Heiterkeit in die Seelen werfen, und jedermann wird in frohem Glauben seinen kleinen Genien zujauchzen. Die kleinen Wesen sind dann keine Wunder mehr, sie sind aus dem Himmel heruntergeholt und zum graziösen Ausdruck einer menschlichen Stimmung geworden. Und wie mit Genien, so auch mit Dämonen und Gespenstern. Wer ein unheimliches Granen in uns zu wecken versteht, der kann uns an schreckhaften Fabelgeschöpfen zeigen, was er will — wir werden ihm glauben. Und das eben hat Gabriel Finne verstanden. Sein Stück dreht sich in Kürze um folgendes. Ein Mann quält sich bis zum Vorfolgungswahnsinn, weil er sich einmal mit der Frau eines Freundes vergangen hat. Immer scheint ihn dieser Freund, ein kleinbürgerlicher Oberlehrer, mit stillen, mahnenden, vorwurfsvollen Augen anzusehen. Er entrinnt diesen Augen nicht. Wo er hinflieht, sind sie auch, immer gleich still und immer gleich furchtbar. Da, in einer stillen Dämmerstunde, verläßt den von Furien verfolgten Mann die Kraft. Das furchtbare Ringen mit der schweren Schuld erzeugt Wahnvorstellungen und in das gespenstische Dunkel des Zimmers tritt von fahlem Licht umflossen der Geist seines Freundes. Wie eine kalte Hand packt es den Zuschauer im Nacken. Er glaubt an diesen Geist, weil die unheimliche Stimmung, deren Träger er ist, ihn bereits seit langem mit wechselnden Schauern durchrieselt. Der Dichter hat es verstanden, in seinem Innern die Mitternachtsstunde, in der die Gräber sich öffnen, schlagen zu lassen. Das Gespenst ist kein Schemen mehr; es ist eine Ausgeburt der eigenen Stimmung und hat mithin, um am letzten Ende das Resultat in eine handliche Formel zu schlagen, psychologische Realität. Um diesen Preis aber ist auch in der modernen und modernsten Kunst ein jedes Wunder feil.




[Texten hämtad ur Erich Schlaikjers Berliner Kämpfe (1901), s. 54–61.]